Christa Schechtl's
"Der Schrei" 3
Zwei lange Jahre hing Nivea an der Kette. Nur dem Zufall und ihrem außergewöhnlichem Namen hat sie ihre Rettung zu verdanken.
Es war ein brütend heißer Julitag, als ein kleiner goldfarbener Mischlingswelpe in das Tierheim Burgas gebracht wurde. Er wurde auf der Straße gefunden. Ich nahm das etwa sechs Monate alte, sehr ängstliche Hundemädchen auf den Arm, liebkoste es. Es roch gut und frisch. So nannte ich es spontan NIVEA. Dieser Name sollte später noch eine dramatische Rolle spielen. Nivea war zart und sensibel. Im Tierheim wäre sie zugrunde gegangen. So bemühte ich mich um eine Pflegestelle, die sich dann intensiv um eine Familie kümmern sollte. Ich fand, gegen gutes Entgelt, eine junge Frau, die versprach, sich um Nivea solange zu kümmern, bis sie ein optimales Zuhause für sie gefunden hatte. Beruhigt flog ich nach Deutschland zurück. In einem Monat war ich wieder in Burgas. Ich erkundigte mich nach Nivea. Doch sie und auch die junge Frau waren spurlos verschwunden.
Alle Suchaktionen blieben erfolglos. Ich war am Boden zerstört. Die Ungewissheit, was aus dem Tier geworden ist, war am Schlimmsten. Mir blieben von Nivea nur die Bilder. Monate vergingen, Jahre. Ich dachte oft an Nivea. Dann passierte etwas Seltsames. Nach einem Radio-Interview, das ich wegen Kettenhundhaltung gab, erzählte mir Margarita, meine bulgarische Stellvertreterin, von einem kleinen Hund, der seit zwei Jahren an der Kette hängen würde, dort auch ihre Babys bekam und sehr krank sei. "Mein Onkel ist sehr traurig darüber", sagt sie, "er sieht das Tier jeden Tag und versteht nicht, warum so ein kleiner, lieber Hund an der Kette hängen muss". Und jeder im Dorf wundert sich über den komischen Namen. "Wie heißt er denn?" -NIVEA!- Mein Herz fing zu rasen an. Das kann nur meine Nivea sein. Wer nennt seinen Hund schon Nivea? Noch am selben Abend schaffte es Margaritas Onkel, Nivea zu befreien. Ich durfte nicht dabei sein. Margarita hatte recht.
Nivea kurz nach ihrer Einlieferung in das Tierheim in Burgas. Kurz darauf gab ich sie zu einem Pflegeplatz, wo sie spurlos verschwand.
Mir wären die Emotionen und Nerven durchgegangen und hätte Nivea damit keinen Gefallen getan. Es war wie ein Wunder, als sie zu mir gebracht wurde. Leise rief ich ihren Namen. Sie muss wohl meine Stimme erkannt haben. Langsam, zaghaft noch, lief sie auf mich zu, in meine Arme. Gewachsen ist sie, die Kleine, aber immer noch zart und sehr, sehr scheu. Was muss sie erlitten haben? Ich habe das Zauberwesen, dem so brutal zwei lange Jahre ein Kettenhundleben zugemutet wurde, mit nach Deutschland genommen. Heute lebt sie in der Nahe von München. Durch ihren eigenwilligen Namen hatte sie das Glück und die Chance, gefunden zu werden. Vielleicht hat er ihr auch das Leben gerettet.