Christa Schechtl's
"Der Schrei" 3

Gert Braun, Freier Journalist

Mitten unter uns

Ein erster Geiger
und seine zweite Frau

Es geschah im vergangenen August bei der Geburtstagsparty einer Nachbarin, bei einem "Champagner-Frühstück" im Garten ihrer Villa. Neben mir an einem Stehtisch mit Barhocker saß ein Berufsmusiker im Ruhestand, alter Freund des Hauses. Er war ohne Begleitung. Ich sah ihn zum ersten Mal. Seine Violine für ein späteres Ständchen hatte er noch im Auto. Irgendwie kam er sehr bald auf seine 20 Jahre jüngere, zweite Frau zu sprechen, eine Chinesin, die nach München kam, um eine Akupunktur-Praxis zu eröffnen. Seine Rückenschmerzen und ihre Nadelstiche brachten sie zusammen. Auch durch die Kochkünste seiner Frau erlebt er einen zweiten Frühling: "Kürzlich hat sie mir einen feinen Braten mit Reis und Sojasprossen serviert und mich danach gefragt: Und, wie hat es dir geschmeckt?" "Ausgezeichnet." "Siehst du, dann weißt du jetzt auch, wie lecker Hunde sein können." Schockiert wollte ich wissen, wie er darauf reagiert hat. "Ach, ich habe mir's kurz überlegt und dann gedacht: Andere Länder, andere Sitten. Die essen halt Hunde, wir Schweine und Rinder."

Dieser Mann, dessen Liebe brutal durch den Magen geht, war 30 Jahre lang Erster Geiger bei der Bayerischen Staatskapelle am Nationaltheater.

Unzählige Male saß er im Orchestergraben und hat bei Opern, wie "Zauberflöte", "Tristan und Isolde", "Rosenkavalier" die Sänger mit den emotional passenden Akkorden begleitet, aber als Privatmann unterscheidet er nicht das Innenleben eines Mastochsen von dem eines treuen, sensiblen Hausgenossen. Oder die Vorgeschichte eines gut schmeckenden Bratens ist ihm einfach egal. Hauptsache, er kann mit vollen Backen als letztes Glied der Nahrungskette sitzen. Diesem gestandenen Bayern, im zweiten Frühling, bekocht von einer Chinesin, kommt auch nicht in den Sinn, dass er mit seinem indifferenten Appetit dazu beiträgt, die Sitte eines anderen Landes als grauenhafte Unsitte in unsere Region einzuschleusen. Sie ist nun mitten unter uns. Unter solcher Gedanken- und Gemütslosigkeit vieler, vieler Mitbürger gegenüber den vierbeinigen, mehr oder minder beseelten Geschöpfen, hat auch Christa Schechtls Engagement zu leiden.

Das macht sie oft sehr einsam und verständnislos. Aber immer wieder rafft sie sich auf und kämpft weiter, vor allem, wenn sie an die Hilfe suchenden Blicke ihrer Schützlinge denkt. Bei Bitten um Unterstützung bekommt Sie meistens die Antwort: "Kümmern Sie sich lieber um hungernde Kinder!" Rückfragen, was sie selbst dafür tun, erübrigen sich. Dass Christa Schechtl trotz aller Widerstände und Gleichgültigkeiten schon seit langem ihr totales Leben einsetzt, für Not leidende Tiere auch schon ihre Lebensversicherung aufgebraucht hat, ist mehr als nur ungewöhnlich, für mich ein gottgewollter Gegenpol, beispielsweise zu dem ehemaligen Geiger von der Staatskapelle. Dieser bezieht vom Staat regelmäßig bis an sein Lebensende seine "wohlverdiente" Pension, im Grunde auch von der Hundesteuer. Christa Schechtl ist unversichert weiterhin mit dem Bettel-, zugleich Hirtenstab unterwegs.

Gert Braun, Freier Journalist

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